22. Juli 2016
An einem ganz normalen Tag Anfang Juli auf dem Weg zum nächsten Supermarkt, sahen wir beim Vorbeifahren mit dem Auto etwas merkwürdiges auf dem Fußgängerweg liegen. Wir blieben stehen und sahen uns das komische Krümelchen näher an. Es war ein kleiner Mauersegler. Er ruderte mit dem Flügeln ohne auch nur einen Hauch weit vom Boden abzuheben und kippte immer wieder um. Trotz seines wilden Gebarens sah man ihm an, dass er stark geschwächt war. Nach kurzer Einschätzung der Lage packten wir den kleinen Kollegen ein und fuhren sofort wieder nach Hause. Erstmal kühl gestellt und etwas Wasser mit einer nadellosen Spritze vorsichtig an die Schnabelseite getropft. Dankbar nahm er ein paar Minischlucke. Langsam beruhigte sich der Kleine und schlief vor Erschöpfung in den Händen von uns zweibeinigen Riesen ein.
Gut, sollte der kleine erstmal schlafen. Hier war er wenigstens sicher vor der Hitze und diversen Räubern. Nun musste eine Entscheidung getroffen werden. Der nächste Tierarzt unseres Vertrauens war leider eine ganzes Stück entfernt, fraglich ob der kleine Vogel alleine die lange Fahrt in dem Zustand durchhalten würde. Also wollten wir ihn sich ausruhen lassen und fürs Erste Futter besorgen, das war weit schneller und unkomplizierter möglich. Heimchen mussten her.
Nach einer ersten Mahlzeit und ein paar weiteren "Schlucken" Wasser folgte eine weitere Lageeinschätzung mit folglich stundenlanger Recherche auf diversen Internetseiten, wie man denn einen kleinen Mauersegler gut durchbringen könnte. Er war definitiv noch nicht flügge und wohl aus seinem Nest geplumpst. Ein kurzer Gewichts-Check offenbarte uns, dass es wohl schon eine Weile schlecht bestellt war um ihn. 23 Gramm waren eindeutig zu wenig für einen Mauersegler in seinem Alter. Laut einer Tabelle der Mauersegler Klinik hätte unser Freund bereits beinahe das Doppelte an Gewicht mit sich rumschleppen müssen. Die gute Nachricht war, dass er unverletzt schien, aber gut ging es ihm auch nicht. Das linke Auge öffnete er kaum, wohingegen er das rechte recht freizügig nutzte. Und er schlief wirklich immer ein. Er schlief wenn man ihn zum Füttern aus seiner Box nahm, nach dem Füttern, wenn man ihn in der Hand hielt für eine kurze Verschnaufpause. Aber wer konnte es ihm verdenken, so geschwächt wie er war. Schlaf ist heilsam.
Die nächsten Tage bestanden aus Füttern, Box putzen, noch mehr Füttern, Box putzen, noch mehr Füttern, Vitamine verabreichen, Box putzen. Und mit jedem Tag wurde der kleine Strolch stärker und vor allem zickiger. Also beschlossen wir, dass es sich um ein Weibchen handeln musste. Der Name war auch schnell gefunden. Wie viel so ein kleiner Vogel pupsen kann weiß man erst, wenn man es erlebt hat. Also war sie unsere kleine "Pupsi". Nach wenigen Tagen hatten wir den Tierbedarfsladen in unserer Stadt mit Heimchen leer gekauft und wir mussten zum Baumarkt ausweichen. Diverse Geckohalter in der Stadt müssen uns ob unseres horrenden Heimchenverbrauchs verflucht haben. Aber es lohnte sich. Mit jedem Tag konnte man beobachten, wie ihre Beinchen kräftiger wurden, ihre Federn länger und ihr Wille stärker.
Die Tage vergingen und klein Pupsi wurde immer kräftiger und schneller. Es kam langsam Leben in das Tier. Füttern wurde zu einer Geduldsprobe. Nicht nur, dass sie kaum selbstständig Futter annahm, nein es war auch alles spannender. Fütterte man sie vor dem Fenster guckte sie gespannt nach draußen und verfolgte blitzschnell jeden vorbei flitzenden Vogel mit ihrem Blick. Fütterte man sie nicht am Fenster, erklomm sie in sekundenschnelle des Pflegers Bein für eine bessere Rundumsicht. Auch ihre Flügel wurden immer spannender. Sie begriff zwar scheinbar noch nicht ganz, dass diese eigentlich zum Fliegen gemacht waren, aber zum Abstützen, Herumrennen und Klettern waren sie allemal gut genug.
Unsere kleine Pupsi hatte sich eindeutig verändert. Nach beinahe 2 Wochen sah man, wie toll sie sich entwickelt hatte. Ihre Schwungfedern waren noch locker 4 cm gewachsen und hatten ihre Hülsen vollständig verloren, ebenso ihre Schwanzfedern. Im Genick war sie nun vollständig befiedert. Mit dem Gewicht hatte sie gut zugelegt und wenn sie sich einbildete, auf einem herum klettern zu müssen, spürte man ihre kleinen Krällchen recht deutlich. Ihre Sicht war durch ihr linkes Auge nicht mehr eingeschränkt, sie konnte es wieder ganz normal benutzen. Ihr Reaktionsvermögen war erstaunlich. Blitzschnell konnte sie für sie spannende Dinge erfassen und mit ihrem Blick verfolgen. Ihr Flügelschlag war stark und schnell geworden. Immer wieder reckte und streckte sie sich und übte das Flattern. Ob wir wollten oder nicht, die Zeit war gekommen. Sie musste uns verlassen und ihren eigenen Weg gehen. Wir hatten alles getan, was in unserer Macht stand um sie darauf vorzubereiten. Jetzt lag es nur noch an ihr.
Nun begannen wir mit Flugversuchen. Auf einer nahe gelegenen Wiese gaben wir Pupsi die Möglichkeit zum Starten. Bei den ersten beiden Versuchen genoss sie die Zeit draußen und war sehr interessiert an ihrer Umgebung, aber fliegen traute sie sich nicht. Dann ein paar Tage später probierten wir es noch einmal, und es war wirklich Zeit. Denn sie versuchte schon zu Hause ein paar Mal einen Gleitflug zu starten. Einmal landete sie zum Glück weich auf meiner Kuscheldecke auf der Couch, weil sie davon hüpfte. Also raus mit ihr. Endlich war sie auch mutig genug, spreizte die Flügel und schlug was das Zeug hielt. Und tatsächlich, sie hatte es geschafft. Eine letzte Runde lang beehrte sie uns mit ihrer Anwesenheit, doch dann ging es geradewegs zum Horizont.
Es war wirklich ein wunderbares Erlebnis, diesen kleinen Mauersegler bei uns zu haben. Und wir vermissen unsere kleine Pupsi schon jetzt. Wir wünschen ihr alles Gute und hoffen, dass sie ihre lange Reise gut übersteht und uns nächstes Jahr vielleicht gemeinsam mit ihrer Kolonie wieder besucht.
Nina Leitgeb & Raoul Reichebner
Der Mauersegler (Apus apus) gehört zu der Familie der Segler. Er sieht einer Schwalbe sehr ähnlich, ist aber nicht näher mit ihnen verwandt. Er hält sich in der Zeit von Anfang Mai bis Anfang August in Mitteleuropa zur Brutzeit auf und zieht hier seine Jungen groß. Das Winterquartier befindet sich in Afrika vor allem südlich des Äquators.
Die hervorstechendste Eigenschaft des Mauerseglers ist sicher, dass es sich um einen Dauerflieger handelt. Außerhalb der Brutzeit verbringt er teilweise ganze Monate in der Luft ohne einmal zu landen. Er jagt, frisst, trinkt, badet und schläft im Flug. Bei seinen waghalsigen Manövern kann er die 200 km/h Marke überschreiten. Es ist nachgewiesen, dass Mauersegler über 20 Jahre alt werden können.